Neuer Forschungszweig Epigenetik

Gene bestimmen alles, denken wir. Ob wir gesund oder krank sind und wie wir altern, ist eine Frage der Gene. Allerdings ist unser genetischer Code nicht starr vorgezeichnet. Ob und wie stark Gene überhaupt zum Ausdruck kommen, ist veränderlich. Vitamin D zählt zu den beeinflussenden Faktoren und scheint dabei auch noch eine ganz besondere Rolle zu übernehmen. Möglicherweise sogar die des übergeordneten Dirigenten!
Von Dr. phil. Doris Steiner-Ehrenberger und Theresa Teufl BSc, BA

Aus Sicht der Wissenschaft wird Vitamin D immer bedeutender für eine stabile Gesundheit. Nicht nur für Knochen – bei Entzündungen, Autoimmunerkrankungen, Herz- Kreislauf-Erkrankungen, neurodegenerativen Erkrankungen wie Parkinson, Diabetes oder Übergewicht ist eine gute Vitamin D-Versorgung ebenfalls von Bedeutung. Insbesondere das Immunsystem braucht größere Mengen Vitamin D.

Neuer Forschungszweig Epigenetik
Wie kommt es aber dazu, dass Vitamin D so vielseitig und an so vielen Prozessen beteiligt ist, dass man sogar von einer Schlüsselposition in der menschlichen Gesundheit sprechen kann? Die Antwort darauf liefert die Epigenetik. Sie hat sich in den letzten etwa dreißig Jahren zu einem neuen Zweig der Genetik innerhalb der Biologie entwickelt und erforscht das Umfeld der Gene.

Äußere Einflüsse auf Gene
Bald bestätigte sich die Theorie, dass Gene nicht, wie man früher dachte, selbstbestimmt agieren, sondern dass sie von äußeren Faktoren wie Umwelt, Ernährung, Viren, großen Krisen wie Hungersnöten oder anderen traumatischen Erlebnissen maßgeblich beeinflusst werden. Und zwar, indem sich durch solche Auslöser chemische „Marker“ an Gene heften und fortan deren Aktivitäten steuern. Die Anhängsel selbst werden als „Epigenom“ bezeichnet. Man unterscheidet zwei Varianten der genetischen Beeinflussung: Die DNA-Methylierung verhindert eine Gen-Aktivität, schaltet das Gen aus. Die Histon-Modifikation (z. B. Acetylierung) ermöglicht Gen-Aktivität, schaltet das Gen ein.

Ein faszinierender Ausblick
Solche Veränderungen an den Genen sind sogar vererbbar und belasten noch die nächsten Generationen. Und doch ist hier nichts in Stein gemeißelt, denn die Gen-Anhängsel können auch wieder aufgelöst werden. Gerade die Erkenntnis, dass wir nur bedingt von den Genen gesteuert werden, gibt uns ein Stück Selbstbestimmung zurück.

Vitamin D reguliert viele Gene
Vitamin D scheint hier eine besondere Rolle einzunehmen, fand man doch heraus, dass das Sonnenvitamin sogar einer der Hauptdirigenten in Bezug auf das Ein- und Ausschalten von Genen ist. Zwischen 100 und 1250 (!) Gene werden durch Vitamin D reguliert, da es die wichtigste Voraussetzung dafür erfüllt: Das Vorhandensein von Vitamin D-Rezeptoren in ganz vielen verschiedenen Zelltypen in unserem Körper. Die Rezeptoren sind „Eingangstüren in die Zelle“, deshalb wirkt Vitamin D auch so breit gefächert.

Vitamin D bewirkt folgendes in Bezug auf Gene

Vitamin D verbessert das Ablesen der Gene: Die DNA liegt im Zellkern sehr stark verdichtet als Chromatin vor. Würde man die DNA einer einzigen Zelle als Linie auflegen, wäre sie zwei Meter lang. Der menschliche Körper hat ungefähr 100 Billionen Zellen, dementsprechend platzsparend muss die DNA im Zellkern verstaut werden. Durch Vitamin D wird Chromatin aufgelockert und zugänglich gemacht, sodass die in der DNA gespeicherten gene-tischen Informationen von der Zelle gut abgelesen und umgesetzt werden können. Dieser grundlegende Vorgang des Lebens wird als Transkription bezeichnet. Hierin liegen wichtige Voraussetzungen für Gesundheit!

Vitamin D erleichtert die Entscheidung, ob ein Gen tatsächlich benötigt wird: Nur weil die DNA nun aufgelockert ist, heißt das nicht, dass die ganzen zwei Meter auch abgelesen und in Proteine übersetzt werden. Je nach Bedarf wird nun entschieden, welche Gene der Körper gerade braucht. Um dieses Jonglieren zu gewährleisten, gibt es spezielle Helferlein, sogenannte Transkriptionsfaktoren. Sie bestimmen, ob ein Gen tatsächlich benötigt oder doch lieber übersprungen wird. Calcitriol, die in der Leber bereits umgewandelte, aktive Form des Vitamin D, bindet an Rezeptoren im Zellkern und gemeinsam bilden sie einen hocheffektiven Komplex, der einen wichtigen Transkriptionsfaktor darstellt.

Befreiung durch richtigen Lebensstil
Das Geheimnis liegt im Lebensstil und den gesunden Faktoren, die wir in unser Leben lassen. Dabei sind es gerade Natursubstanzen, die positive Veränderungen herbeiführen können. Vieles ist jetzt schon als epigenetisch wirksam nachgewiesen, wie etwa Brokkoli-, Curcuma-, Grüntee- oder Granatapfelextrakt. Es geht im Grunde darum, im Sinne der Gesundheit zu regulieren, sodass Überaktiviertes gehemmt und lahmgelegte Gene wieder befreit werden. Auch verschiedene psychotherapeutische Interventionen können eine Genblockade epigenetisch auflösen, wie im Artikel „Panikattacken überwinden“ in diesem Magazin nachzulesen ist. Besonders effektiv sind bei psychischen Beeinträchtigungen Therapie und zusätzlich das niedrigdosierte Mineral Lithium!

Reguliert Autoimmunerkrankungen und Krebs
Bereits im Jahr 2010 fanden Forscher 2.776 Bindungsstellen für den Vitamin-D-Rezeptor und zwar ausgerechnet in der Nähe von Genen, die mit der Anfälligkeit für Autoimmunerkrankungen wie Multiple Sklerose, Morbus Crohn, Lupus erythematodes und Rheuma sowie für Krebsarten wie chronische lymphatische Leukämie und Darmkrebs zu tun haben. Außerdem hat Vitamin D einen signifikanten Einfluss auf die Aktivität von 229 Genen, darunter IRF8, das mit Multipler Sklerose assoziiert ist, und PTPN2, das mit Morbus Crohn und Typ-1-Diabetes zusammenhängt. Bei diesen Erkrankungen ist es daher ganz besonders wichtig, gut mit Vitamin D versorgt zu sein.

Wieviel Vitamin D brauchen wir wirklich?

Jeder, der sich mit dem wichtigen Vitamin befasst, wünscht sich einen ausreichend hohen Spiegel im Blut. Dabei ist nicht ganz klar, wie hoch „ausreichend hoch“ wirklich sein soll. Optimal sollen zwischen 40 und 60 mg/ml sein, auch wenn das manchen noch zu gering erscheint. Aber das ist eine andere Diskussion. Normalerweise geht man heute von Vitamin D-Dosierungen von 1000 IE oder 2000 IE täglich über ein paar Wochen aus, wenn man einen Mangel hat. Auf dem Etikett sind aber nur Dosierempfehlungen bis 1000 IE erlaubt, weshalb bei höheren Dosierungen von 2000 oder 5000 IE steht, dass man sie jeden 2. oder 5. Tag nehmen soll. Manche benötigen aber auch Hochdosen von 5000 IE täglich und das über einige Wochen, vor allem, wenn sie Träger einer von zwei limitierenden Gen-Varianten sind.

Genetisch bedingter Vitamin D-Mangel: Bei der ersten Variante sorgt das CYP2R1-Gen dafür, dass die Um-wandlung in aktives Vitamin D in der Leber zu gering ausfällt – der Vitamin D-Level steigt nur langsam oder bleibt niedrig. Vier Prozent der kaukasischen Bevölkerungsgruppe sind mit beiden Gensträngen davon betroffen, 30 Prozent mit nur einem. Bei der zweiten Variante wird das CYP24A1-Gen Vitamin D zu schnell abgebaut. Der Vitamin D-Spiegel ist infolgedessen gering. Davon sind 1-2 Prozent mit beiden Gensträngen betroffen, 12 bis 21 Pro-zent nur mit einem. Weitere Ursachen für Vitamin D-Mangel sind nicht genetischer Natur, sondern auf eine chronisch-entzündliche Magen-Darm-Erkrankung zurückzuführen. Magnesium- oder Bormangel können ebenfalls vorliegen.

VITAMIN D KONTROLLIERT IMMUNSYSTEM UND KREBSABWEHR
Um mehr über die Wirkung von Vitamin D auf Gene zu erfahren, entnahm man in einer Studie weiße Blutkörperchen von acht gesunden Erwachsenen im Winter und verglich die Veränderung nach Gabe von 400 IE oder 2000 IE pro Tag nach zwei Monaten.
Das Ergebnis bestätigte frühere Untersuchungen: Vitamin D beeinflusst die Expression von 291 Genen mindestens um das 1,5 fache. Vor allem sind Gene betroffen, die das Immunsystem steuern, die an Krebsabwehr, Immunfunktion, Reaktion auf Stress, DNA-Reparatur, Zellzyklusaktivität und Zelldifferenzierung beteiligt sind. Dieses Ergebnis stimmt mit früheren Studien überein, die zeigten, dass Vitamin D direkt oder indirekt mehr als 200 Gene in Zusammenhang mit Immunsystem und Krebsabwehr kontrolliert. Insgesamt vermutet man, dass Vitamin D die Expression von bis zu 5 % des gesamten menschlichen Genoms, also bis zu 1250 Gene, regulieren kann.

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